09. 12. 2011
BRÜDERLE-Interview für die Passauer Neue Presse
BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab der Passauer neuen Presse (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:
Frage: Spannung vor dem EU-Gipfel zur Euro-Rettung in Brüssel. Die Bundesregierung dämpft die Erwartungen und ist pessimistisch - Sie auch?
BRÜDERLE: Der Gipfel ist eine große Chance. Der deutsch-französische Vorschlag für Vertragsänderungen ist eine gute Grundlage, um einen großen Schritt weiter zu kommen. Europa muss jetzt Handlungsfähigkeit zeigen. Die neuen vertraglichen Regeln sollten jetzt schnell auf den Weg gebracht und ratifiziert werden. Am Ende muss eine neue vertragliche Regelung für mehr Stabilität stehen. Wir wollen möglichst viele der 27 EU-Mitglieder mit einbeziehen. Ich kann nur an alle appellieren, jetzt das Richtige zu tun und den Weg für ein stabiles Europa mitzugehen. Wer den Weg allerdings nicht mitgehen will, der muss die Konsequenzen bedenken.
Frage: Ist das der Weg in Richtung Kerneuropa?
BRÜDERLE: Wir haben in Europa bereits jetzt unterschiedliche Geschwindigkeiten. In der Euro-Zone ist die Integration schon weiter fortgeschritten als im EU-Raum. Grundsätzlich sollte jetzt gelten: Mehr vertiefen als erweitern. Die EU und insbesondere der Euro müssen sich jetzt stabilisieren. Die Beitrittsverhandlungen für Kandidaten sind deswegen schwieriger geworden, die Anforderungen wachsen. Die FDP steht zur EU-Erweiterung, aber wir müssen gleichzeitig die Europäische Integration vorantreiben.
Frage: Die Bundesregierung warnt vor faulen Kompromissen und Tricksereien. Wären grundlegende Reformen auch ohne Vertragsänderungen möglich?
BRÜDERLE: Wir benötigen einen automatischen Mechanismus zur Sicherung der Stabilität. Ohne vertragliche Änderungen wird das nicht gehen. Die Defizitkriterien müssen wieder eingehalten und Verstöße mit Sanktionen geahndet werden. Nur so wird der Euro auf Dauer Stabilität erreichen.
Frage: Pünktlich zum Gipfel droht die amerikanische Rating-Agentur Standard & Poor"s, die Kreditwürdigkeit von Deutschland und fast allen Euro-Staaten herabzustufen. Eine realistische Bewertung?
BRÜDERLE: Es ist schon bedauernswert, dass die Europäische Union es bis heute nicht geschafft hat, eine eigene unabhängige Rating-Agentur aufzubauen. Das muss dringend auf den Weg gebracht werden. Ich neige nicht zu Verschwörungstheorien, aber es ist schon merkwürdig, dass amerikanische Rating-Agenturen die USA vor der Präsidentenwahl ein Jahr lang nicht mehr bewerten, aber fast jeden Tag etwas zu Europa und zum Euro erklären. Da gibt es offenbar einen politischen Knick in der Optik. Das muss man offen aussprechen. Wir brauchen in Europa unabhängige Agenturen. Hier sind die EU-Partner gefordert, auch wenn es eine solche Rating-Agentur nicht zum Nulltarif geben wird. Die Agentur könnte in Form einer Stiftung arbeiten.
Frage: Die Europäische Zentralbank kauft Staatsanleihen in großem Stil. Wird die EZB immer mehr zur Krisenpolizei?
BRÜDERLE: Die Aufgabe der EZB ist es, die Stabilität des Geldes sicherzustellen. Was sie jetzt macht, ist aber eine Mischung aus Geldpolitik und Fiskalpolitik. Die Intervention der EZB am Markt durch den Aufkauf von Staatsanleihen ist Fiskalpolitik und kann so nicht dauerhaft weitergehen. Das muss wieder zurückgeführt werden.
Frage: Bleibt es am Ende beim deutschen Nein zur Einführung von Eurobonds, Gemeinschaftsanleihen mit einheitlichem Zinssatz?
BRÜDERLE: Eine Vergemeinschaftung von Schulden lehnen wir Liberalen klar ab. Eurobonds würden für eine Schuldenunion stehen. Wir wollen eine europäische Stabilitätsunion. Eurobonds wären überhaupt nur in einem europäischen Bundesstaat denkbar. Die Vereinigten Staaten von Europa wird es aber auf absehbare Zeit nicht geben.
Frage: Der Mitgliederentscheid der FDP über den dauerhaften Euro-Stabilisierungsmechanismus ESM scheitert womöglich an mangelnder Beteiligung. Wäre das nicht auch eine Schlappe der FDP-Führung, weil sie die Basis nicht für eine Zustimmung gewonnen hat?
BRÜDERLE: Wenn der Antrag des Bundesvorstandes gewinnt, wovon ich ausgehe, ist das ein klarer Sieg für die Parteiführung. Damit werden auch die Beschlüsse des Bundesparteitages untermauert. Wie auch immer der Mitgliederentscheid ausgeht, kann das die Bundestagsabgeordneten in ihrer Entscheidung beeinflussen, aber nicht binden. Es gibt nach unserer Verfassung kein imperatives Mandat.
Frage: Weshalb kommt die FDP auch nach dem Führungswechsel nicht aus dem Umfragetief heraus?
BRÜDERLE: Die FDP muss sich jetzt weiter auf die liberalen Kernthemen konzentrieren: Soziale Marktwirtschaft, Bildungspolitik, Bürgerrechte. Durch beharrliche seriöse Arbeit werden wir wieder Vertrauen gewinnen und neue Stärke erreichen. Wir müssen den Menschen auch klar machen, dass Rot-Grün keine Alternative ist: Die wollen drastisch die Steuern erhöhen und Deutschland für alle Schulden in Europa haften lassen.
Frage: Trotz Euro-Krise macht auch die Bundesregierung einmal mehr neue Schulden - ist das nicht das falsche Signal?
BRÜDERLE: Der Haushaltsansatz ist deutlich niedriger als 2010. Wir kommen jetzt mit rund 20 Milliarden Neuverschuldung aus. Spätestens 2016 wollen wir die Nettoneuverschuldung auf Null reduzieren.
Frage: Die SPD will die geplanten Steuersenkungen im Bundesrat blockieren. Wie wollen Sie verhindern, dass Schwarz-Gelb und vor allem die FDP am Ende mit leeren Händen dastehen?
BRÜDERLE: Die geplante Anpassung des Grundfreibetrags zur Sicherung des Existenzminimums hat das Bundesverfassungsgericht eingefordert. Das kann die SPD wohl schlecht ablehnen. Wir wollen vor allem die kleinen und mittleren Einkommen entlasten. Die Beseitigung der sogenannten kalten Progression führt dazu, dass die Menschen wieder mehr Netto vom Brutto haben. Die SPD sollte sich gut überlegen, ob sie die Entlastung der Arbeitnehmer wirklich verhindern will.
Frage: Union, SPD und Ermittler kritisieren, dass man im Fall der Neonazi-Mordserie nicht auf Kommunikationsdaten der Täter zurückgreifen kann. Wann gibt die FDP ihren Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung auf?
BRÜDERLE: Die Vorratsdatenspeicherung ist ein weitgehender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Die Speicherung der Daten ist nicht die Lösung aller Probleme. Wenn wir alles überwachen, haben die Feinde der Freiheit gesiegt. Außerdem brauchen wir nicht immer neue Gesetze. Die schrecklichen Verbrechen müssen aufgeklärt werden. Die Arbeit der Verfassungsschutzämter sollte konzentriert werden. Vier Verfassungsschutzämter - Nord, Süd, West, Ost - würden vielleicht effektiver arbeiten als 16.
Frage: Wäre ein Verbot der NPD im Kampf gegen Rechtsextremismus ein wirksames Mittel?
BRÜDERLE: Ein Verbotsantrag muss gut vorbereitet werden. Es muss alles getan werden, damit es ein Erfolg wird. Ein erneutes Verbotsverfahren ist nur sinnvoll, wenn vorher die V-Leute der Verfassungsschutzbehörden aus den Führungspositionen der NPD abgezogen werden.
Download der gesamten Pressemitteilung im PDF-Format:
1135-Bruederle_Interview-Passauer_Neue_Presse.pdf (2011-12-09, 119.29 KB)